Berichte aus der Ukraine 2 – Tagebuch einer Invasion (Rezension)

Berichte aus der Ukraine 2 – Tagebuch einer Invasion Beitragsbild

Wenn der Krieg ein Gesicht bekommt

In Berichte aus der Ukraine 2 – Tagebuch einer Invasion sammelt Igort mit viel Feingefühl Erfahrungsberichte und Geschichten aus dem Krieg in der Ukraine und ergänzt sie mit seinen einzigartigen Illustrationen. Der Reprodukt Verlag aus Berlin hat vor kurzem eine deutsche Ausgabe herausgebracht. Wir wagen einen Blick in das grausame Gesicht des Krieges.

Revolte gegen das Abstumpfen

Tag für Tag werden wir mit Nachrichten über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine konfrontiert. Was zunächst Fassungslosigkeit und kollektive Angst verbreitete, ist mittlerweile trauriger Alltag. Mitten in Europa tobt ein Krieg und wir führen unsere Leben weiter wie bisher. Igorts Berichte aus der Ukraine 2 – Tagebuch einer Invasion ist wie eine Revolte gegen das kollektive Abstumpfen. Er gibt dem Krieg ein Gesicht, indem er Geschichten von Betroffenen erzählt und gefühlvoll mit Illustrationen begleitet.

Persönlich wird die Lektüre vor allem auch durch Originalzitate von Betroffenen, die Igort bei Telefonaten mit seinen ukrainischen Freunden festgehalten hat. Diese Zitate geben traurige Einblicke in das zum Alltag gewordene Leben mit dem Krieg. Neben grausamen Geschichten treffen wir auch auf kleine Anekdoten, die voller Hoffnung und Frieden sind. So erzählt Igort z. B. davon, dass an einem polnischen Bahnhof viele Menschen Kinderwagen für die ankommenden Geflüchteten, ukrainischen Familien hinterlassen haben. Solche Erzählungen sind kleine Lichtschimmer in der Finsternis des Krieges.

Neben den persönlichen Geschichten aus dem Kriegsalltag gibt Igort auch immer wieder gut recherchierte Einblicke in die geopolitischen Fragen, die hinter diesem Angriff Russlands auf die Ukraine versteckt sind. Die Lektüre hilft dabei, die Historie besser zu verstehen und zeigt ungeschönt das Gesicht des Aggressors. Es zeigt sich schnell: Der Angriff auf die Ukraine ist nur ein weiterer Versuch, den imperialistischen Bestrebungen eines aus der Zeit gefallenen Diktators Genüge zu tun.

Kunst findet Bilder für das Unvorstellbare

Igort konnte bereits in seinen Reiseberichten aus Japan zeigen, dass er ein Händchen dafür hat, seine Illustrationen mit einer einzigartigen Poesie auszukleiden. Diese Fähigkeit ist in all ihren Facetten auch in Igorts Berichten über die Ukraine zu finden. Zarte in Aquarell gestaltete Hintergründe treffen auf Ruinen und Kriegsgeräte mit harten Schraffuren. Dabei schafft es Igort seinen Protagonisten Gesichtsausdrücke zu verpassen, die erschreckend authentisch von Verlust und Melancholie erzählen.

Berichte aus der Ukraine 2 – Tagebuch einer Invasion ist kein gewöhnlicher Comic. Igort widersetzt sich gattungstypischen Merkmalen und bedient sich an verschiedenen Text und Bildformen. Collagen, treffen auf erzählende Bildsequenzen, Berichte wechseln sich mit historischen Rückblicken ab. Dabei ist Igorts Werk insgesamt sehr textlastig, was aber eine absolute Bereicherung darstellt, sollte doch bei einem so ernsten Thema nicht mit verkürzten Darstellungen gearbeitet werden. Igort scheint es wichtig zu sein, dem Leser möglichst viele Hintergrundinformationen an die Hand zu geben, dadurch ermöglicht sein Werk einen umfassenden Einblick in diese katastrophale geopolitische Zäsur, bleibt aber dank der vielen Berichte von Betroffenen stets sehr greifbar und persönlich.

Tausche Liveticker gegen Menschlichkeit

Berichte aus der Ukraine 2 – Tagebuch einer Invasion ist eine gute Gelegenheit, um mal die Liveticker zum Krieg beiseite zu legen und der Entfremdung und Abstumpfung mit persönlichen Geschichten aus dem Kriegsalltag zu begegnen. Dabei eignet sich die Lektüre vor allem auch als Buddyread (gemeinsames Lesen), weil die Geschichten, die uns in Igorts Werk begegnen, für Gesprächsbedarf sorgen und emotional nachwirken. Igort gibt dem Undenkbaren und Unsagbaren eine Silhouette, eine Idee, die uns zumindest im Ansatz erahnen lässt, was die Menschen in der Ukraine durchmachen müssen. Dabei schafft er es, im Gegensatz zu vielen journalistischen Auswüchsen, immer niveauvoll, ohne Clickbait und ohne sensationsgeile Überschriften den Menschen in den Vordergrund zu stellen. Eine Lektüre, mit der man sich wirklich seine Meinung bilden sollte.

© Reprodukt Verlag 2023

Igort

Berichte aus der Ukraine 2 – Tagebuch einer Invasion

• Aus dem Italienischen von Myriam Alfano
• Lettering von Minou Zaribaf / Font: Igort

ISBN 978-3-95640-357-6
168 Seiten, farbig, 17 x 24 cm, Klappenbroschur

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