Little Monsters 1 (Rezension)
Kindheit in der postapokalyptischen Ödnis
Schon wieder eine Vampirgeschichte! Hat die Popkultur mit ihren unzählbaren Franchises zu Blutsaugern nicht schon genug Kapital aus den Taschen willenloser Konsumenten abgeschöpft? Offensichtlich nicht, denn die Schöpfer der erfolgreichen Reihen Descender und Ascender, Jeff Lemire und Dustin Nguyen versuchen sich nun auch an den Geschöpfen der Nacht. Dabei ist ihr Ansatz durchaus innovativ und verdient daher eine genauere Betrachtung, denn im Fokus ihrer Graphic-Novel Little Monsters, die auf Deutsch beim Splitter Verlag erschienen ist, steht eine Gruppe von heranwachsenden Vampiren in einer postapokalyptischen Ödnis.
Täglich grüßt das Murmeltier
Was sollen heranwachsende Vampire in einer leergefegten postapokalyptischen Welt mit sich anfangen? Die Protagonisten fristen ihre Existenz mit der Jagd auf Ratten, um an frisches Blut zu gelangen und mit ihren individuellen Hobbys. Der eine spielt Gitarre, die andere liest und einige haben nichts als Unsinn im Kopf. So vergehen die Tage für Romie, Yui, Lucas, Ronnie, Raymond, Billy, Bats und Vickie vorhersehbar und voller Alltagstrott. Dabei gibt die Sonne ihren Rhythmus vor, denn Sonnenstrahlen würden das Ende ihrer Existenz bedeuten. Diese unspektakuläre und doch heile Welt gerät aber schlagartig ins Wanken, als Billy und Romie einen Menschen in Not entdecken. Bisher ging die Gruppe davon aus, dass es keine Menschen mehr gibt und Billy kann seinen Drang nach Menschenblut nicht länger zurückhalten…
Der Herr der Fliegen vergleich
Für Little Monsters dürfte es furchtbar schwer sein, sich des Vergleiches mit dem Roman Der Herr der Fliegen zu verwehren. Ähnlich wie im Werk von William Golding, geht es auch in Little Monsters um eine Gruppe Heranwachsender, die ohne den Einfluss von Erwachsenen ihr Dasein fristen. Dabei zeichnen Lemire und Nguyen unterschiedliche Chrakterprofile, geben der Geschichte der einzelnen Protagonisten Raum und versuchen potenzielle Spannungen der Gruppe durch das plötzliche Auftauchen eines Menschen herauszuarbeiten. Unterschiedliche Werte und Moralvorstellungen sorgen schon bald dafür, dass die Stabilität der Gruppe von einer sozialen Entropie bedroht wird.
Graustufen mit Farbkleksen
Dustin Nguyen konnte schon in Descender und Ascender seinen einzigartigen Stil unter Beweis stellen. Während er in diesen beiden Werken fast schon aquarellartig kantige Außenlinien mit fließenden zarten Farben ausfüllt und so einen sehr analogen und rauen Charakter forciert, wirken die Zeichnungen in Little Monsters eher plastisch und digitaler Natur. Dazu tragen auch die gepunkteten Rasterfüllungen in den Flächen bei. Das ist etwas schade, hätte der Geschichte doch ein organischerer Stil etwas mehr Leben und Dynamik eingehaucht. Besondere Dinge werden in Little Monsters farblich dargestellt. So sticht das rote Blut z. B. regelmäßig aus den Graustufen hervor. Auch alte Wandmalereien von Großstadtkids erscheinen plötzlich in Farbe und erhalten dadurch zusätzliche Bedeutung durch die Autoren. Dieses Stilmittel kennen wir auch schon aus Werken wie Sin City und ist damit alles andere als neu, jedoch schmeichelt es hier dem Verlauf der Geschichte. Warum also nicht?
Spannender Auftakt mit offenem Ausgang
Lemire und Nguyen haben hier einer neuen, innovativen Vampirgeschichte Leben eingehaucht. Dabei scheinen die sozialen Spannungen in der Gruppe der Protagonisten enormes Potenzial für weitere interessante Wendungen in der Story bereitzuhalten. Der Stil von Nguyen ist dabei zwar etwas plastisch und wirkt an vielen Stellen eher digital als organisch, aber er unterstreicht die Atmosphäre der Geschichte. Auch, wenn hier Heranwachsende im Fokus stehen, irrt man sich, wenn man eine harmlose und kindliche Geschichte erwartet. Es rollen Köpfe, Blut spritzt und die Protagonisten sehen sich existenziellen Fragen ausgesetzt. Dieses Gesamtpaket mach Lust auf mehr und die Katastrophe, mit der das Ende des ersten Bandes gestaltet wurde, schreit nach Auflösungen in den nächsten Bänden.
Little Monsters 1
ISBN: 978-3-98721-076-1
Erschienen am: 25.01.2023
Szenario Jeff Lemire
Zeichnung Dustin Nguyen
Übersetzg. Bernd Kronsbein
Einband Hardcover, Bookformat
Seitenzahl 152
Band 1 von 2