Frankensteins Schoß (Rezension)

Frankensteins Schoß Beitragsbild

Warren Ellis inszeniert mit „Frankensteins Schoß“ einen düsteren und surrealen Trip über die fiktive Entstehungsgeschichte von Mary Shelleys Frankenstein

1816 wurde für Teile Europas zum „Jahr ohne Sommer“, weil ein massiver Ausbruch des indonesischen Vulkans „Tambora“ den Himmel mit Aschewolken überzog. In diesem düsteren Setting verbrachte die heute weltberühmte Autorin Mary Shelley ihre Zeit bei ihrem Bekannten Lord Byron in der Nähe des Genfer Sees. In seinem Anwesen entschloss sich die Gesellschaft dazu, die Zeit des schlechten Wetters damit zu verbringen, einander Horrorgeschichten zu erzählen. So entstand bekanntermaßen ihr berühmtes Werk „Frankenstein or The Modern Prometheus„.

Warren Ellis als wandelndes Lexikon

Warren Ellis nimmt den Entstehungsmythos von Frankenstein und füttert ihn in „Frankensteins Schoß“ mit einer gehörigen Portion Fiktion, die literarisch wunderbar dem Thema der düsteren Romantik dienlich zu sein scheint. Shelley trifft auf dem Weg zu ihrem Freund Lord Byron auf die Burgruine von Burg Frankenstein, in der Johann Konrad Dippel im 17. Jahrhundert seine schaurigen Experimente mit Leichenteilen durchgeführt haben soll. Shelley besichtigt die Burg und trifft auf Frankenstein und auf Dippel als seinen Schöpfer. Für Shelley beginnt nun ein surrealer Trip in die Abgründe naturwissenschaftlicher Erkenntnis und in ihre eigene Geschichte.

Angeblich soll Dippel auch Vorlage für Shelleys Werk gewesen sein, tatsächliche Beweise für diese These findet man allerdings nicht. Für Ellis scheint diese Diskussion auch gar nicht relevant zu sein, bedient er sich doch bewusst und detailverliebt an allen Mythen rund um den Entstehungsprozess des Werkes. Dabei nutzt Ellis ständig Fragmente und Aphorismen aus anderen literarischen Werken, die eng mit Shelleys künstlerischem Wirkungskreis verbunden sind und der Epoche der Romantik entspringen. Der Dantes Verlag, bei dem Frankensteins Schoß auf Deutsch erschien, liefert uns hier zu besseren Verständlichkeit ein ausführliches Glossar und allerhand Fußnoten mit. Gewappnet mit diesen Werkzeugen dringen wir schnell in den romantisch düsteren Zeitgeist ein, der auch für Shelley seine ganze Wirkkraft entfaltet hat.

Kraftvolle Schwarz-Weiß Zeichnungen mit starken Schraffuren

Marek Oleksicki begleitet den schaurigen Trip in“Frankensteins Schoß“ gekonnt mit kraftvollen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die sich düster an Ellis Erzählung anschmiegen. Der Kontrast, der durch die so gezeichneten Panel entsteht, scheint fast schon symbolhaft den Kontrast zwischen der epochentypischen aufkeimenden naturwissenschaftlichen Erkenntnistheorie und dem gleichermaßen ausgeprägten Verlangen nach Spiritualität und Fantastik widerzuspiegeln. Ellis und Oleksicki gelingt es hier Shelleys schwarze Romantik auch auf ihr neuzeitliches Werk zu übertragen.

Eine außergewöhnliche Erweiterung des Frankenstein-Kanons

Wer von Shelleys Werk „Frankenstein“ begeistert ist, bekommt bei Ellis neuen Stoff, um sich in schwarzer Romantik zu verlieren und über die Grenzen von Wissenschaft und menschlicher Erkenntnis zu sinnieren. Der Dantes Verlag unterstützt mit seiner Ausgabe mit viel Liebe zum Detail den nicht immer leichten Verstehensprozess von Ellis komplexer Lektüre. Jens R. Nielsen hat hier bei der Übersetzung eine hervorragende Arbeit geleistet. Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Oleksicki laden dazu ein, in die Abgründe der schwarzen Romantik einzutauchen. Am Ende der Lektüre wird man von dem Gefühl begleitet, Shelleys Zeitgeist als bittere, surreale Pille geschluckt zu haben, die zumindest im Anschluss für ein paar „Stunden ohne Sommer“ sorgt. Ein schaurig schönes Gefühl!

© Dantes Verlag

Frankensteins Schoß

Story: Warren Ellis

Zeichnungen: Marek Oleksicki

Übersetzung: Jens R. Nielsen

Paperback, 16 x 24 cm, 52 Seiten, s/w

ISBN 978-3-946952-33-6

Erschienen: 15. Oktober 2019

Please follow and like us:

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Instagram
Follow by Email
RSS