Monster (Rezension)

Monster Beitragsbild

Albtraumhafter Stoff von Barry Windsor-Smith über menschliche Abgründe und unheilbare Wunden

Monster von Barry Windsor-Smith ist das wohl letzte Werk des Altmeisters der grafischen Erzählung. Windsor-Smith, der sich bereits mit verschiedenen Marvel-Veröffentlichungen und seinen Storys über Conan der Barbar verdient gemacht hat, liefert mit Monster einen bedrückenden Höllenritt in die verstörenden Gefilde menschlicher Abgründe ab. Das epochale Werk ist auf Deutsch im Cross Cult Verlag mit 365 Seiten im Hardcover-Format erschienen.

Häusliche Gewalt, Nazi-Experimente und eine kriegstraumatisierte Gesellschaft

Bei Monster handelt es sich um keine leichte Kost. Barry Windsor-Smith versammelt all die abgründigen Themen, die ohne Bedenken sofort mit einer Triggerwarnung versehen werden könnte. Krieg, häusliche Gewalt, Nazi-Experiment und Bodyhorror – es wird nichts ausgelassen. In diesem Sumpf der Gewalt begleiten wir den jungen Bobby Bailey. Er meldet sich für eine Laufbahn beim Militär, offensichtlich völlig mittellos und ohne familiäre Bindungen. Ranghohe Militärs wittern ihre Chance, um Bobby Experimenten zu unterziehen, die nach dem Sieg über die Nazis in das amerikanische Militär importiert wurden. Bobby, der durch die Experimente zu einem entstellten Wesen wird, kann vor dem Militär flüchten.

Es beginnt eine Jagd, die zurück an Erinnerungsorte von Bobbys Kindheit führt. Windsor-Smith nutzt diese Ankerpunkte, um in einer langen Retrospektive von Bobbys Aufwachsen zu berichten. Sein Vater Tom Bailey kam aus dem Zweiten Weltkrieg als gewaltvoller Tyrann zurück, der seine Frau Janet und Bobby regelmäßig gewaltvoll misshandelte. Windsor-Smith schildert aber auch das lange Warten auf Tom Bailey Rückkehr aus dem Krieg und die Verzweiflung seiner Frau Janet, die immer wieder mit fadenscheinigen Begründungen hingehalten wird. Was Tom genau im Krieg erlebt hat, wird erst im grausamen Finale von Monster aufgedeckt.

Starke Erzählung

Monster fällt vor allem durch seine verschiedenen Erzählebenen und seiner verschachtelten Handlung auf. Am Ende der Lektüre bleiben einige Fragezeichen übrig, was aber wohl auch vom Autor so intendiert zu sein scheint. Besonders stark ist der Erzählstrang über Janet Bailey und die Kindheit von Sohn Bobby Bailey. Windsor-Smith erzählt authentisch und unverblümt von der traumatischen Situation der Soldatenfrauen im Zweiten Weltkrieg. Die nur eingeschränkt mögliche Kommunikation mit ihrem Mann Tom und die Ungewissheit über seinen Verbleib zehren an Janet Bailey. Windsor-Smith nutzt hier geschickt Tagebucheinträge von Mrs. Bailey, um ihre traumatische Situation erfahrbar zu machen. Dabei kann die Situation der Protagonistin als Blaupause für eine kriegstraumatisierte amerikanische Gesellschaft dienen, in der selbst die Vorstadtidyllen mit den schrecklichen Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges konfrontiert wurden.

Die schreckliche Gewalt des Krieges wird durch Tom Bailey bei seiner Heimkehr mit in die Familienidylle hineingetragen. Der völlig veränderte aggressive Ehemann schikaniert seine Frau und seinen Sohn und offenbart niemanden, was seine Seele so zermürbt hat. Auch diese Erzählung scheint fast wie eine Blaupause für die Nachwirkungen des Weltkrieges. Der Polizist Jack Powell, der sich immer wieder um Janet Bailey in der Abwesenheit ihres Mannes kümmert und sich in sie verliebt hat, kann nur noch zusehen, wie das familiäre Grauen seinen Lauf nimmt…

Tusche-Hedonismus-Monster

Barry Windsor-Smith legt hier auch auf künstlerischer Ebene ein einzigartiges Werk vor. Seine Tuschezeichnungen zeichnen sich durch starke Kontraste aus, die dadurch entstehen, dass Windsor-Smith mehr Fläche mit Tusche verziert, als er Leerstellen lässt. Dieser großzügige Umgang mit der Tusche sorgt für eine unfassbare räumliche Tiefe und trotz der Zweifarbigkeit für eine ganz besondere Atmosphäre. Die Schwere des Stoffes scheint sich dadurch auch in den Bildern widerzuspiegeln. Die Bilder aus dem Nazi-Labor im Konzentrationslager wirken mit dieser Technik über alle Maße verstörend, vermischt sich hier doch eine düstere Bebilderung mit purem Body-Horror. Diese Szenen sind nichts für schwache Nerven und streckenweise stellt sich die Frage, ob die Perversitäten der Nazis so explizit hätten dargestellt werden müssen.

Verstörend aber Lesenswert

Monster von Barry Windsor-Smith ist an vielen Stellen sehr verstörend. Teilweise sind die Bilder so explizit und pervertiert, dass die Frage aufkommt, ob diese Vorgehensweise noch angemessen ist. Wahrscheinlich braucht es diese Stimmung aber, um das abgrundtief Böse darzustellen. Menschliche Monster gibt es im gleichnamigen Werk in vielerlei Hinsicht. Wenn man nach dem „Es“ in der Psychoanalyse fragt, gibt es wohl kaum einen Stoff, der böser und triebhafter die dunklen Kellergewölbe in der menschlichen Psyche darstellt, als Monster. Dabei reichen die Bösartigkeiten der politischen Weltbühne in Form von Kriegen, bis hin in die kleinste soziale Einheit der Familie. Nach der Lektüre von Monster bleiben viele Fragen offen. Windsor-Smith bietet hier viel Raum für Spekulationen über die Intention seines Werkes. Wer mit Geschichten mit etwas kryptischen Einschlag mag und auch heftige, explizite Bilder erträgt, sollte in jedem Falle mal einen Blick in dieses monumentale, letzte Werk werfen. Wer Interesse an besonders kunstvolle Tuschezeichnungen hat, wird in Monster ein Werk finden, das seinesgleichen sucht.

Monster

von

Barry Windsor-Smith

Erscheinungsdatum: 31.03.2022

Sonderformat, HC, sw, 368 Seiten

Genre:

Crime/Thriller/History

ISBN: 978-3-96658-600-9

40,00 €

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