Transit Visa (Rezension)

Transit Visa Beitragsbild

Ein Citröen Visa, zwei Cousins und tausende Kilometer zur Zeit des eisernen Vorhanges

Nicolas de Crécy nimmt uns mit in seine Erinnerungen an eine Reise, zu der er 1986 mit seinem Cousin aufbrach. Es geht quer durch Osteuropa und den ehemaligen Ostblock-Staaten, bis in die Türkei. Dabei nutzt Crécy diese Erzählung, um uns tiefe Einblicke in biografische Entwicklungen zu geben. Beim Reprodukt Verlag wurde Crécys Geschichte nun auf Deutsch veröffentlicht.

Quer durch den Osten

Crécy und sein Cousin Guy hatten vermutlich recht naive Vorstellungen davon, was es bedeuten würde, mit einem alten klapprigen Citröen Visa von Frankreich bis in die Türkei zu fahren. Dass sie im Rahmen ihrer Reise auch noch Tschernobyl erschreckend nahe kommen würden, wo erst kürzlich ein Reaktorunfall für eine Katastrophe sorgte, war ihnen auch nicht wirklich bewusst. Trotz der Naivität, mit der sie diese Reise angetreten haben, erleben sie nicht nur Problematisches. Es ist vor allem die unbedarfte Herangehensweise, die Ihnen schöne Erlebnisse mit Einheimischen verschiedenster Länder beschert. Dabei gibt es immer auch Rückblicke in Crécys Kindheit und wir erfahren in kleinen Anekdoten auch einiges über seine literarische Sozialisation und sein Verhältnis zur Kirche…

Fantastische Illustrationen

Nicolas de Crécy arbeitet in Transit Visa mit einer Mischung aus Tusche, Aquarell und Buntstiften. Dieser Mix sorgt für eine dynamische Bebilderung der dicht erzählten Geschichte. Gleichzeitig passt dieser Stil hervorragend zum nostalgischen Gehalt von Crécys Erzählung. Auch die Bilder schreien nach den 80er Jahren und verblassten Erinnerungen, die Nicolas de Crécy aus den Tiefen seines Gedächtnisses zieht. Es gibt nämlich kaum noch Fotos von dieser abenteuerlichen Reise, die als Referenz hätten dienen können.

Sprachlich anspruchsvoll und tiefgründig

Nicolas de Crécy ist nicht nur als Zeichner eine Wucht. In Transit Visa zeigt er auch seine sprachliche Begabung und sein großes literarisches Wissen. Mit Querverweisen zu Klassikern der Weltliteratur, aber auch zu französischen Werken, gibt Crécy uns Einblicke in seine literarische Sozialisation. Dabei nutzt er stellenweise eine sehr poetische Sprache, die hin und wieder die Grenze zum Kitsch tangiert und doch meistens von kluger Beobachtungsgabe und philosophischer Tiefe zeugt. Es lohnt sich also sich für Transit Visa etwas Zeit zu nehmen, denn die dichte Erzählweise hat inhaltlich einiges zu bieten. Freunde von Literatur, werden sich vor allem auch über die Querverweise freuen und die Suchmaschinen mit den noch unbekannten Literaturhinweisen füttern.

Niveauvolle Unterhaltung in spannendem Stil

Nicolas de Crécys Transit Visa bekommt eine klare Leseempfehlung für alle Leser, die gerne Werke mit Tiefgang und ausdrucksstarker Sprache mögen. Die vielen verschiedenen Spielorte der Reise sorgen für abenteuerliche Passagen und die Verständigungsprobleme zwischen den Protagonisten und Einheimischen birgt Potenzial für allerlei Amüsantes. Spannend ist auch der historische Kontext zur Zeit des eisernen Vorhanges und der Katastrophe von Tschernobyl. Immer wieder nutzt Nicolas de Crécys diese Einbettung, um auch gesellschaftskritische Perspektiven in seine Erzählung einfließen zu lassen. Schnell wird klar: Wir können uns wirklich glücklich schätzen, dass wir uns nun so freizügig in Europa bewegen können. Es bleibt zu hoffen, dass das auch in Zukunft noch so bleibt.

Transit Visa

• Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock
• Lettering von Wolfgang Buechs / Font: Nicolas de Crécy

ISBN 978-3-95640-418-4
448 Seiten, farbig, 19 x 25,5 cm, Hardcover

1. Auflage: Juni 2024

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