Primordial (Rezension)
Mit Primordial, erschienen auf Deutsch im Splitter Verlag, versucht das Dreamteam Jeff Lemire und Andrea Sorrentino an ihren Mystery-Erfolg Gideon Falls anzuknüpfen. Kann das gut gehen?
Die Graphic-Novel beginnt mitten im Wettlauf um das Weltall zwischen den USA und der Sowjetunion. Nachdem am 04. Oktober 1957 die Sowjetunion den ersten Etappensieg mit Sputnik 1 verzeichnen konnte, investierte die USA nach diesem „Sputnikschock“ Milliarden in ihr Bildungssystem, um selbst wissenschaftliche Fortschritte zu erzielen. Den zweiten Etappensieg fuhr die Sowjetunion dennoch ebenfalls ein, indem sie das erste Säugetier – die Hündin Laika – ins All schickte. Die USA zogen später mit dem Rhesusaffen Abel und dem Totenkopfäffchen Baker nach. Soweit die historisch korrekte Erzählung. In Primordial verschwinden die Versuchstiere im All. Auf der Erde kommt ein amerikanischer Wissenschaftler diesem Mysterium auf die Spur und wird daraufhin von einer russischen Kollegin kontaktiert, die ebenfalls tiefe Einblicke in dieses Mysterium erlangen konnte. Dabei müssen sich die beiden mit dem russischen Geheimdienst rumschlagen. Was mit den tierischen Weltraumpionieren geschehen ist, könnt ihr am besten selbst nachlesen…
Die Cash-Cow durch’s Dorf treiben
Wo Lemire und Sorrentino draufsteht, erwartet man eigentlich brillante Qualität, das Duo steht nicht umsonst für starke Verkaufszahlen. Im Falle von Primordial bekommt man überraschenderweise maßlose Enttäuschung geliefert. Dabei waren doch alle Zutaten für einen genialen Comic-Streich vorhanden. Sorrentino liefert wie gewohnt atmosphärische und düstere Zeichenkunst ab, aber leider nur streckenweise. Viele Seiten des Buches gähnen vor leere und surrealen Mustern, immer dann, wenn die Tiere im All gezeigt werden. Das ist furchtbar langweilig. Lemire zeigt uns dutzende gute Ansätze, die eine geniale Geschichte zutage gefördert hätten, wenn Lemire ein klares Ziel vor Augen gehabt hätte. Vielleicht hatte er das ja, aber dann war es eher ökonomischer Natur.
Tierethik, Geheimagtenthriller, Geopolitische Probleme…
Primordial enthält von all diesen Themenschwerpunkten ein bisschen. Dabei verfolgt Lemire aber keinen Ansatz intensiver. Man hat den Eindruck, dass er beim Schreiben das Ziel völlig aus den Augen verloren hat (Oder hatte er überhaupt eins?). Wie wunderbar hätte man mit Primordial auf tierethische Fragen aufmerksam machen können. Wie erschreckend aktuell ist das imperialistische Bestreben Russlands. Wie wunderbar hätten die Thriller-Elemente zu Sorrentinos Zeichnungen gepasst. Leider hat Lemire all diese Chancen liegen gelassen.
Was nun bleibt…
Primordial zeigt, dass der Höhenflug von Lemire und Sorrentino eine starke Zäsur erfahren hat. Es bleibt zu hoffen, dass es sich nur um einen Ausrutscher handelt und Sorrentino und Lemire sich in weiteren Werken wieder auf das Wesen ihrer bisher so starken Teamarbeit besinnen – düstere Mystery-Thriller, mit innovativen Geschichten und leichtem Independent-Anstrich.
ISBN: 978-3-96792-361-2
Erschienen am: 22.06.2022
Szenario Jeff Lemire
Zeichnung Andrea Sorrentino
Übersetzg. Katrin Aust
Einband Hardcover, Bookformat
Seitenzahl 176 Band 1 von 1