Blankets – Jubiläumsausgabe (Rezension)

Jubiläumsausgabe der preisgekrönten Coming-of-Age-Geschichte von Craig Thompson

Vieles wurde bereits über Blankets von Craig Thompson geschrieben. Etliche Preise wurden überreicht. Große Branchenvertreter jubelten Begeisterungsstürme. Wir wagen 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung mit der Jubiläumsausgabe, die beim Reprodukt Verlag erschienen ist, erneut einen Blick in Thompsons Werk. Kann der mittlerweile zum Klassiker avancierte Stoff auch heute noch überzeugen?

Themen die berühren

Es gibt Themen, die literaturgeschichtlich betrachtet schon immer Dauerbrenner waren. Liebesgeschichten gehören mit Sicherheit dazu und die erste Liebe scheint für viele Menschen mit besonderer Emotionalität verbunden zu sein. Kein Wunder: Schmetterlinge im Bauch, der erste unsichere Kuss, aber auch der Schmerz der ersten Trennung werden besonders intensiv erlebt. In diese Kerbe schlägt auch Craig Thompson, erweitert den thematischen Horizont allerdings auch mit Einblicke in seine durch strenge Religiosität geprägte Familie. Immer wieder wird deutlich, dass die Religiosität den sowieso schon stark verunsicherten Craig auch noch an seiner eigenen Körperlichkeit und seinen Bedürfnissen zweifeln lässt. Die Enge des frommen Kleinstadtlebens gerät schon bald ins Wanken, als Craig auf einem christlichen Ferienlager Raina kennenlernt.

Kann denn Liebe Sünde sein?

Raina gefällt Craig, denn sie scheint nicht mit dem Strom zu schwimmen und ein Herz für Außenseiter zu haben. Im Ferienlager kommen sich beide näher und entwickeln Gefühle zueinander, die leider zunächst nur durch Briefe befriedigt werden können, denn Raina wohnt 500 Kilometer entfernt von Craig. Irgendwie schafft es Craig seine Eltern trotz ihrer konservativen Art davon zu überzeugen, dass er zwei Wochen bei Raina bleiben kann, schließlich sei auch sie in einer christlichen Familie und seine Eltern müssten nichts befürchten.

Das zerbrechliche Paradies

Craig fährt für zwei Wochen in die verschneite Provinz, in der Raina mit ihrer Familie lebt. Hier bekommen wir Einblicke in die komplexen Familienstrukturen von Raina. Zwei Adoptivgeschwister von Raina sind mit Beeinträchtigung zur Welt gekommen und Raina kümmert sich viel um sie, weil ihre Eltern vor allem mit sich selbst beschäftigt sind und kurz vor der Scheidung stehen. Rainas große leibliche Schwester führt eine lieblose Beziehung mit ihrem Partner und wirkt wesentlich oberflächlicher als Raina. Diese komplexen Darstellungen von Rainas Familiensituation haben ihre Berechtigung, sorgen sie doch dafür, das Identifikationspotenzial mit den Charakteren zu erhöhen und die Motive der Hauptfiguren nachvollziehen zu können.

Dass Raina quasi im Alleingang den Familienbetrieb schmeißt, zeigt sie als sich kümmernde, sorgenvolle Person. Dieses Motiv passt auch zur titelgebenden Decke, die Raina für Craig näht. Diese Decke hüllt Craig für zwei Wochen in ein wohliges Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Raina und Craig schaffen sich in all dem Trubel ein kleines Paradies, in dem der Alltag ausgeschlossen wird und es um das pure Empfinden und Erleben von Zweisamkeit geht. Dabei hadert Craig aber auch immer wieder mit den Traumata seiner religiösen Erziehung. Ist Körperlichkeit Sünde? Raina hilft Craig dabei, sich diesen Dämonen zu stellen und scheint maßgeblich an Craigs Emanzipation von diesen Dogmen mitzuwirken. Leider wissen wir nicht zuletzt durch Nelly Furtado: „All good things come to an end…“

Innovative Erzählstruktur

Craig Thompson hat mit Blankets völlig zu Recht an einem Auftrieb des Graphic-Novel-Genres mitgewirkt. Auf 600 Seiten nimmt sich Thompson alle Zeit, um ausgiebige Charakterporträts zu entwickeln. Ganz in der Manier von Großmeistern wie Will Eisner, schafft Thompson es seiner Geschichte mehrere Erzählebenen zu verleihen. Wir erleben sowohl eine wunderbar gefühlvoll erzählte fragile Liebesgeschichte, als auch eine Geschichte des Erwachsenwerdens und der Emanzipation von einengenden religiösen Dogmen. Dabei wirken die Charaktere authentisch und ihre Motive sind durchweg nachvollziehbar.

Die Welt da draußen

Dass Craig Thompson einen großen Teil von Blankets in der verschneiten Provinz ansiedelt, muss als besonders gelungen anerkannt werden. Die Kälte, die von außen einwirkt, scheint symbolhaft auch den schmerzvollen Prozess des Erwachsenwerdens widerzuspiegeln. An einer Stelle in der Geschichte gehen Raina und Craig im Pyjama in den Schnee draußen. Dabei nimmt Raina Craig an die Hand und führt das Vorhaben an. Sinnbildlich kann diese Anekdote auch für den Prozess des Erwachsenwerdens gelesen werden, bei dem Raina für Craig eine entscheidende Rolle einnimmt. Dabei geschieht diese Initiation in die Erwachsenenwelt besonders gefühlvoll und aufmerksam. Die Decke, die Raina für Craig näht und die ihn am Abend immer wieder in Geborgenheit hüllt, scheint dies zu verdeutlichen.

Beeindruckende Bildsprache

Thompson arbeitet in Blankets mit einer beeindruckenden Bildsprache, die durch liebevolle Tuschezeichungen artikuliert wird. Die religiösen Motive, die offensichtlich prägenden Einfluss auf Thompsons Aufwachsen hatten, finden sich immer wieder auch in Form von verschiedenen religiösen Symbolen in Blankets wieder. Seine Beziehung zu Raina ist dabei besonders symbolträchtig. Hier bewegt sich Thompson immer wieder zwischen Himmel und Hölle, Liebe und Sünde und zeigt seine innere Zerrissenheit deutlich. Das ist besonders gelungen und animiert dazu, Blankets auch noch weitere Male zu lesen.

Unbedingt nachholen!

Wer Blankets bisher noch nicht gelesen hat, sollte dies nun mit der Jubiläumsausgabe unbedingt nachholen. Es gibt kaum grafische Erzählungen, die auf so eine gefühlvolle Art und Weise die Wirren des Erwachsenwerdens nachzuzeichnen vermögen. Die erste Liebe ist ein prägendes Ereignis in einer jeden Biografie und Thompson animiert uns dazu, uns selbst nochmal an diese Momente zu erinnern. Dabei versorgt und Thompson mit symbolträchtigen Zeichnungen, die mit liebevollen Details die Gefühlswelt des jungen Craig Thompsons offenbaren. Die Liebesgeschichte ist dabei so authentisch erzählt, dass sie die Leser in vielerlei Hinsicht zu berühren vermag. Die Jubiläumsausgabe kommt zusätzlich mit Material aus dem Entstehungsprozess von Blankets und einem Interview zwischen Alexander Braun und Craig Thompson daher. Lasst euch also sinnbildlich von dieser warmen literarischen Decke einwickeln und greift unbedingt zu, es lohnt sich!

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