Interview mit Dr. Joachim Kaps zum Manga Day 2023

Dr. Joachim Kaps Interview Manga Day 2023

Passend zum Manga Day am 16.09.2023 konnte ich vorab ein Interview mit Dr. Joachim Kaps, dem Geschäftsführer und Gründer des Altraverse Verlags führen. Dabei ging es vor allem um die Manga-Kultur in Deutschland.

„Eigentlich wusste ich mit 6 schon, dass ich Comicverleger werden will.“

Dr. Joachim Kaps, Geschäftsführer von Altraverse

Dr. Joachim Kaps ist schon seit seiner Kindheit begeisterter Comicleser. Nach seinem Studium und während seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter schrieb er Texte über Comics und vernetzte sich intensiv mit der Szene. Andreas C. Knigge wurde auf ihn aufmerksam und holte ihn 1994 in den Carlsen Verlag. Dort übernahm Joachim im Laufe der Zeit die Leitung für den Comic- und Mangabereich. Später wechselte er zu Tokyopop, wo er 12 Jahre als Managing Director den Manga Markt in Deutschland mitgestaltete. Mit seiner Expertise gründete er dann 2017 seinen eigenen Verlag Altraverse und erfüllte sich damit einen großen Traum.

Manga in Deutschland

Wie würdest du die Manga Kultur in Deutschland beschreiben? Was zeichnet sie aus?

Der Anlass, dass wir hier sprechen ist ja der zweite Manga Day und dieser Manga Day ist ein Zeichen dafür, dass sich spürbar etwas in Deutschland getan hat. Mein Bemühen und das vieler anderer war scheinbar nicht umsonst. Gerade in den letzten Jahren wird das Thema sehr gehypt und die Verkaufszahlen sind nochmal nach oben gegangen. Wir haben mit Manga eine Größenordnung erreicht, die es uns möglich macht, wie belletristische Verlage agieren zu können. Gleichzeitig haben wir es aber noch nicht geschafft, die komplette Breite der Spielarten von Manga wirtschaftlich erfolgreich abzubilden, aber wir bewegen uns mit dem Gros des Angebots immer noch im Mainstream dessen, was Japan an Manga-Vielfalt bietet. Man kann jetzt aber stärker experimentieren, ohne, dass man sich dadurch gleich wirtschaftlich ruiniert.

Aber wir müssen noch vieles erreichen, was wir bislang nicht geschafft haben. Wichtiges Thema: Deutschland ist im Manga- und Comicbereich immer noch eher Kulturimporteur, als eigene lokale Produktionen zu vertreiben. Hier sind alle Verlage gefordert, daran etwas zu ändern. Das ist etwas, was mich ein bisschen traurig zurücklässt, wenn ich den Markt irgendwann mal verlasse. Es ist hierzulande für Kreative immer noch extrem schwer, Manga oder Comics zu produzieren, ohne das nur nebenher im Feierabend zu machen und Augenringe zu bekommen.

Manga als Spiegel gesellschaftlicher Realitäten

Erkennst du Bezüge zwischen den gesellschaftlichen Umbrüchen, mit denen wir gerade konfrontiert sind und dem Erfolg von Manga in Deutschland?

Manga sind wie die meisten Netflix-Serien oder Games, vielleicht sogar wie das Gros der aktuellen Popkultur-Produktion, perfekte Fluchtwelten. Medieninhalte und Kultur sind immer eine Reaktion auf äußere Umstände. Die äußeren Umstände haben sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass junge Menschen eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten haben. Die einen politisieren sich sehr stark und werden dafür jeden Tag von der Springerpresse beschimpft und die anderen ziehen sich in Fluchtwelten verschiedenster Art zurück. Manga sind ganz klar ein Teil davon. 100 Bände One Piece zu lesen und mit Piraten Abenteuer zu erleben hat wenig mit gesellschaftlicher Realität zu tun und holt dich da gut raus. Das ist aber nichts, was Manga ureigen wäre in Abgrenzung zu anderen medialen Entwicklungen. Historisch betrachtet haben wir in Krisenzeiten immer ein krasses Aufkommen solcher Fluchtwelten gesehen.

Eine loyale Fan-Szene

Wie betrachtest du die Fan-Kultur in der Manga-Szene? Hier hat sich ja einiges entwickelt und es gibt Formate wie Conventions und Cosplay etc…

Das ist ein Faktor, der mich so lange am Ball gehalten hat. Die Manga- und Anime-Conventions sind auch Fluchtwelten, aber auf eine sehr positive Art. Ich treffe fast nirgendwo auf der Welt so viele entspannte und fair miteinander umgehende Menschen, wie auf solchen Conventions. Die ersten Manga-Begeisterten waren noch Einzelgänger, die kritisch beäugt wurden, weil sie von rechts nach links gelesen haben. Als sich diese Menschen dann zu einer Community zusammengeschlossen haben, hat das vermutlich zu großem gegenseitigen Respekt geführt, gerade weil sie vorher in Schulklassen und Universitäten nicht zu größeren Gruppen gehörten.

Dieser Spirit hat sich in dieser Community erstaunlich lange gehalten. Je mehr es Mainstream wird, desto größer wird vielleicht auch die Gefahr, dass das so nicht bleibt. Ich erlebe die Szene als unglaublich tolerant. Verschiedene Geschlechtsidentitäten sind z.B. in der Community schon immer da und wurden auch nie groß diskutiert. Für mich sind Manga- und Anime-Conventions manchmal wie drei Tage Urlaub in einer Welt, die man sich manchmal für den Supermarkt nebenan im Alltag auch wünschen würde, wo an der Kasse wieder alle nervös werden, weil noch zwei Leute vor ihnen stehen und einer sein Kleingeld wieder nicht schnell genug findet [Joachim lacht].

Zwischen sexueller Befreiung und stereotypischen Geschlechterrollen…

Wo du gerade Diversität in Bezug auf die Mangakultur angesprochen hast: Manga bieten ja vielfältige Darstellungen von verschiedenen Geschlechtsidentitäten und Lebensentwürfen. Gleichzeitig müssen sie sich immer wieder der Kritik aussetzen, dass stereotypisch Rollenbilder oder sexistische Darstellungen problematisch wären. Wie siehst du diese Ambivalenz?

Das ist ein Thema, mit dem ich mich schon beschäftige, seit ich mich mit Comics auseinandersetze. Die Vorwürfe sind schon so alt wie das Medium selbst. Schon als ich noch zur Schule ging, gab es dazu eine Ausstellung in Erlangen „Bilderfrauen, Frauenbilder“, wo es z.B. um die Darstellungen von Frauen in Comics ging und zu diesem Zeitpunkt waren Manga noch lange nicht in Sicht. Worauf ich hinaus will: Medien laufen immer Gefahr unerreichbare Ideale zu zeigen, weil das etwas ist, was sich Leute lieber anschauen.

Ich halte diese gesellschaftlichen Diskurse alle für extrem wichtig, bin aber auch der Meinung, dass es Felder geben muss, oder geben darf, in denen man sich von gesellschaftlichen Kämpfen erholen kann und wo nicht alles durchdekliniert ist. Ich würde mir wünschen, dass man mehr Energie darin investiert, Einfluss darauf zu nehmen, dass sich unsere Realität verändert und nicht nur die Medien, die zum Teil nur das aufgreifen, was sie in der Realität finden und dann überzeichnen.

In der Anfangszeit gab es auf Conventions gruselige alte Männer, die es sich zum Sport gemacht haben, Cosplayerinnen zu fotografieren. Dieser Entwicklung habe ich so gut wie möglich versucht entgegenzuwirken, wenn ich das mitbekommen habe. Innerhalb der Community sind die Cosplayer-Auftritte eigentlich total De-Sexualisiert. Ich habe selten den Eindruck, dass die anderen Teilnehmer das Gefühl haben, dass Cosplayer irgendein Rollenbild verkörpern, dass erotisierend wirken soll. In der Regel freuen sich die Beteiligten über die kreativen Kostüme.

Moralische Verantwortung des Verlags

Als Verlag setzen wir uns auch damit auseinander, welche Themen wir aufnehmen können und wo wir moralische Grenzen bei bestimmten Inhalten sehen. Das ist sehr wichtig, ich habe nur die Befürchtung, dass politisch korrekte Medieninhalte auch krass langweilig werden könnten. Wir werden es sehen, also ich glaube, es gibt da gerade einen gesellschaftlichen Lernprozess.

Die Frauendarstellungen in den Comics, mit denen ich aufgewachsen bin, machen mir sehr viel mehr zu schaffen, als es bei Manga der Fall ist. Hier sehen wir starke weibliche Charaktere wie z.B. Sailor Moon, die ihr Schicksal in ihre eigene Hand nehmen, eine Entwicklung durchmachen und nicht nur passiv sind. Im frankobelgischen und amerikanischen Mainstream-Comic meiner Jugend waren Frauen dagegen nur Deko, oder passive Beobachter. Auch diese veränderten Rollenbilder haben dazu beigetragen, dass Manga weltweit so erfolgreich geworden sind.

„Manga sind voll kitischig, oder?“

Wenn du gerade den starken Lebensweltbezug von Manga ansprichst: Laufen Manga nicht gerade aufgrund dieses Lebensweltbezuges und den starken Fokus auf die Entwicklung von Charakteren Gefahr, sehr trivial und kitschig zu werden?

Ich glaube, das kann man so nicht sagen. Wir müssten erstmal unterscheiden, welche Manga für welche Leser gemacht sind. In den Anfängen war es so, dass wir in Europa in der Rezeption das Problem hatten, dass die ganze Zeit erwachsene Leser versucht haben die Faszination von Manga zu verstehen, aber wohlgemerkt anhand von Manga, die in Japan für 12- bis 15-Jährige konzipiert waren.

Es gibt sehr wenige Beispiele aus der Popkultur, wo Erwachsene sich selbst so sehr infantilisiert haben, dass sie sowas nachvollziehen konnten. Also eigentlich ist Harry Potter immer das überragende Beispiel, wo plötzlich alle komplett ignoriert haben, ob sie alt oder jung sind und dasselbe gelesen haben.

Wenn du und ich jetzt (vor dem Hintergrund unserer persönlichen Lebenswege und Erfahrungen) plötzlich Detective Conan und Dragon Ball, eine dieser typischen Jugendserien lesen, dann wäre es schon befremdlich, wenn wir sagen würden, das sei jetzt der großartigste Stoff, denn wir je gelesen haben und er erweitert unser Bewusstsein total. Das ist aber eben auch nicht die Aufgabe von Dragon Ball. Es adressiert wie gesagt vor allem Kinder und Jugendliche und regt thematisch dazu an, sich mit der eigenen Entwicklung auseinanderzusetzen. Das sind Themen, die wir beide wahrscheinlich in der Form hoffentlich schon hinter uns gelassen haben [lacht]. Natürlich wirst du auch bei Comics und Manga immer auch triviale Stoffe dabei haben. Das ist aber bei 95 % der Literatur der Fall und niemand würde die Frage stellen, ob Frank Schätzing weiter Bücher schreiben darf [lacht].

Manga nur für junge Leser?

Woher kommt denn eigentlich dieser vehemente Vorwurf der Trivialität und des Kitsches, liegt das deiner Meinung nach daran, dass uns bisher vor allem Manga-Stoffe für jüngere Leser erreicht haben?

Ja, ich weiche immer gerne auf die Popmusik aus, um das zu erklären: Es gibt keine kulturellen Veränderungen, die über Erwachsene laufen. Das ist eine meiner privaten „Joachim-Kaps-Theorien“. Das einschlägige Beispiel, wo immer jeder gleich mitreden kann, sind die Beatles. Deren Erfolg war am Anfang ausschließlich über Jugendliche möglich und die Erwachsenen haben den Kopf geschüttelt. Heute sitzen sämtliche Erwachsen mit einem Glas Rotwein im Ohrensessel vor dem Kamin und legen sich die Beatles-Platten auf. Genau dieser Prozess hilft sehr dabei, zu verstehen, was bei Manga geschehen ist. Die Verlage haben am Anfang sehr viel herumexperimentiert und sind jedes Mal, wenn sie was für Erwachsene gemacht haben, damit auf die Nase gefallen.

Die jungen Leute waren hingegen bereit, sich darauf einzulassen. Die dachten: „Oh spannend. Falsche Leserichtung, meine Alten drehen durch, wenn sie mich sehen, finde ich großartig“. Und da waren dann ab einem bestimmten Zeitpunkt genügend Leser da, um erfolgreich Titel zu veröffentlichen. Wir sind jetzt nach 30 Jahren an einem Punkt, wo die Dragon-Ball-Leser inzwischen 35 bis 45 Jahre alt sind. Die haben jetzt eigene Kinder, die nicht mehr kopfschüttelnd betrachtet werden, wenn sie Manga lesen. Das heißt, jetzt fängt langsam die Zeit an, wo man auch darüber nachdenken kann, speziell Stoffe für Ältere nach Deutschland zu holen. Das ist etwas, das wir über den Manga Day hoffentlich auch so kommunizieren können „Schau mal Manga ist mehr als das anfängliche Dragon Ball und Sailor Moon“.

Manga Day als Chance für neue Zielgruppen

Wenn du nochmal Werbung für Manga machen willst, was sagst du Leuten, die bisher noch nicht so den Zugang dazu gefunden haben?

Ja also dieser Manga Day ist eine Idee, die mich tatsächlich schon seit 4 – 5 Jahren umgetrieben hat und wo ich sehr froh bin, dass wir jetzt im zweiten Jahr schon so krass weit kommen. Dass wir Taschenbücher verteilen und sagen: „Guckt mal, was wir alles machen!“ Und da ist dann wirklich von Detective Conan über Dai Dark etc. sehr viel Unterschiedliches dabei. Das wollen wir zeigen und ein Bewusstsein dafür schaffen, wie viel Manga eigentlich gerade dafür tun, dass Jugendliche Buchhandlungen aufsuchen. Das ist mit einer der Gründe, warum der Buchmarkt nicht stirbt und warum Jugendliche in den Handel gehen und sagen „Wir wollen Bücher aus Papier“.

Ich finde, das darf man auch mal feiern und man darf versuchen das sichtbar zu machen. Der Gedanke des Manga Days ist ähnlich wie beim Gratis Comic Tag zu sagen: „Hey, wenn wir ein Tool finden, was den großen Teil der Leute, die sich irgendwie dafür interessieren, dazu bewegt am selben Tag in ihre Buchhandlung zu gehen, das muss doch krass imposant sein. Es sind also zwei Grundgedanken, die den Manga Day ausmachen: Zum einen das Sichtbarmachen dieses Phänomens, zum anderen, zu zeigen, dass es von Stoffen für junge Leser bis hin zu Stoffen für Erwachsene – noch nicht in gleicher Menge – mittlerweile fast alles da ist. Es lohnt sich also nochmal einen zweiten und dritten Blick auf das Phänomen zu werfen und zu gucken, ob man nicht auch was für sich findet.

Eltern fürchtet euch nicht!

Zum Schluss noch eine kleine Anekdote: Ich hatte letztens einen Postboten bei mir an der Tür, der mitbekommen hat, dass ich einen Comicblog betreibe und der mich mit meiner Expertise gefragt hat, ob er sich Sorgen machen müsse, weil seine Tochter Boys Love Manga liest. Was hättest du ihm geantwortet?

Bei Manga für Jugendliche und Teenies würde ich erstmal festhalten, dass das ein unglaublich gutes Tool ist, um dein Wertesystem zu hinterfragen und zu entwickeln. Und das ist das, was du machst, wenn du 13 oder 17 bist und glücklich aufwächst. Ich wünschte mir – und da bin ich vielleicht etwas stark von meiner Biografie geprägt – die Comics meiner Jugend hätten das genauso gutgetan. Haben sie aber nicht.

Ich habe Füchsen und Mäusen beim „Sich-nicht-entwickeln“ zugesehen. Donald, Daisy, Fix und Foxi – sie waren immer in einer traurigen Schleife ihres Lebens gefangen und kamen nicht voran. Natürlich habe ich das trotzdem mit großer Freude gelesen, aber das hatte überhaupt nichts mit mir zu tun. Als dann Zack und solche Dinge aufkamen, gab es erwachsene Helden, die waren Rennfahrer, Detektive oder Piloten, die kein erwachsenes Leben geführt haben, weil sie komplett desexualisiert waren. Da bin ich manchen Western-Serien wie Blueberry oder Comanche krass dankbar, dass sie dieses Muster durchbrochen haben. Aber das waren komplette Ausnahmen auf dem Markt, weil die Figuren sich dort entwickeln konnten.

Die Sache mit den Boys-Love-Manga

Und damit zurück zu Boys-Love: Boys-Love sind ein Rollenspiel für Leute, die Romance-Geschichten mögen, oder in bestimmten Ausprägungen erotische Inhalte mögen. Es gibt brave Boys Love Geschichten und es gibt weniger brave. Für letztere hat Carlsen ja mittlerweile sogar ein eigenes Label gegründet, wo der Konzern sich mit Stoffen austoben kann, die in der Lesemaus und bei Conni nicht so oft auf der Tagesordnung stehen.

Und dass es sich immer um zwei Jungs handelt, liegt einfach daran, dass der Großteil der Leser Frauen sind und die das spannender finden ästhetischen Männerkörpern zuzuschauen, als im Manga das zu betrachten, was sie eh schon aus dem eigenen Spiegel kennen. Tatsächlich nicht my cup of tea, aber für mich sind diese Geschichten auch nicht gemacht und ich glaube nicht, dass irgendjemand Schaden daran nimmt. Wer mit einer vernünftigen Bildung und Erziehung ausgestattet ist, kann meiner Meinung nach alle medialen Inhalte verarbeiten, ohne Schaden zu nehmen. Verändern wir also erstmal die Welt und nicht immer nur die Comics.

Manga Day 2023

Hier findest du alle Hinweise zum Manga Day 2023:

https://mangaday.de/

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