Nach Paris – Gesamtausgabe (Rezension)

Nach Paris Beitragsbild

Architektonische Kuriositäten und surreales Storytelling

Der Schreiber & Leser Verlag hat nun eine Gesamtausgabe von François Schuitens und Benoît Peeters‘ Science-Fiction-Erzählung Nach Paris vorgelegt. Schuiten und Peeters konnten bereits in der 17 Bände umfassenden Serie Die geheimnisvollen Städte ihre Leidenschaft für Architektur deutlich herausarbeiten. Das mag kaum verwundern, stammt Schuiten doch aus einer Brüsseler Architektenfamilie. In Nach Paris mischt das Duo diese Leidenschaft für Bauwerke mit einer Science-Fiction-Erzählung. Sorgt diese interessante Mischung auch für einen besonderen Lesegenuss?

Wie ein Traum

In Nach Paris begleiten wir Karinh, eine junge Frau, die auf einer Raumstation aufgewachsen ist. Dass Menschen auf einer solchen interstellaren Arche leben, scheint der Tatsache geschuldet, dass es der Erde lange Zeit nicht gut ging. Karinh ist eine Nachkommin von Menschen, die das Privileg hatten, auf diese Raumstation zu fliehen. Hier herrschen klare Regeln, die das Überleben auf diesem begrenzten und isolierten Raum ermöglichen. Die Gesellschaft der Arche erwartet von Karinh zwei Normkinder zu bekommen, damit der Nachwuchs und somit der Betrieb der Raumstation auch in Zukunft gesichert ist. Karinh hat unterdessen aber andere Pläne und verliert sich in Träumereien über Paris. Ihre geheime Leidenschaft bringt sie dazu, sich für eine Mission auf Terra zu melden, um den Zustand des Planeten festzustellen…

Nostalgie und Veränderung

Schuiten und Peters nutzen Architektur und Orte, um die Leser mit den Themen Veränderung und Nostalgie zu konfrontieren. Die Protagonistin Karinh hat sich vor ihrem Trip nach Terra intensiv in alten Büchern über Paris informiert. Das Paris, was sie vorfindet, gleicht aber nicht mehr dem Paris, nach dem Karinh sich bei ihren Tagträumen gesehnt hat. Dabei folgen wir ihr auf die Spurensuche nach den kleinen Flecken, die der unbarmherzigen Konstante Zeit standgehalten haben. Die Lektüre versetzt uns in dieses Gefühl, das wir verspüren, wenn wir unsere idealisierten Erinnerungen an Orte und Gebäude, die wir mit unserer Jugend und Kindheit verknüpfen, mit der Realität der Gegenwart konfrontieren. Wer kennt das nicht? Man kommt am Geburtshaus vorbei und erkennt die Gegend kaum wieder. Die alte Schule gibt es vielleicht bereits nicht mehr. Dort ist jetzt ein Supermarkt…

Schuiten und Peeters werfen die Frage auf, ob trotz aller Veränderungen der alte Geist eines Ortes bewahrt werden kann. Symbolisch zeigt hier eine Glaskuppel über Paris den Versuch zu bewahren. Dass das Glas am Ende brüchig wird, scheint nur allzu erwartbar… Nach dem zerstörerischen Brand in der berühmten pariser Kathedrale Notre-Dame, scheinen Peeters‘ und Schuitens Überlegungen aktuell wie nie. Wie richtet die französische Gesellschaft das Bauwerk wieder her und kann der alte Geist bewahrt werden?

Virtuose Zeichnungen treffen auf kryptisches Storytelling

Die Zeichnungen von Schuiten sind ein absoluter Genuss. Die intensive Beschäftigung mit Architektur spiegelt sich kunstvoll in ihnen wider. Filigran und besonders virtuos zeichnet Schuiten ein surreales, futuristisches Bild eines fiktiven Paris, das mit allen Mitteln darum kämpft, seinen alten Geist zu bewahren. Das Storytelling von Peeters ist mitunter etwas schwerfällig und wenig zugänglich. Wer sich auf diese Erzählweise einlassen kann, wird aber mit einer einzigartig illustrierten Geschichte konfrontiert, die philosophische Fragen aufwirft, die nach der Lektüre noch nachhallen. Die zusätzlichen Artikel am Ende des Buches ergänzen die Gesamtausgabe mit interessanten Informationen über die Geschichte des Wandels in Paris. Wer nach der Lektüre nicht den intensiven Drang und die Lust verspürt, eine Sightseeing-Tour durch Paris zu buchen, ist vermutlich als Kandidat für die Arche im Orbit besser aufgehoben.

Nach Paris – Gesamtausgabe

Zeichnung: François Schuiten

Szenario: Benoît Peeters

€ 34,80 | gebunden | Farbe | 144 Seiten

ISBN: 978-3-96582-121-7

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