1629, oder die erschreckende Geschichte der Schiffbrüchigen der Jakarta 1 (Rezension)

Jakarta Beitragsbild

Psychologischer Thriller im frühneuzeitlichen Setting auf hoher See

Im Splitter Verlag ist 1629, oder die erschreckende Geschichte der Schiffbrüchigen der Jakarta 1 von Xavier Dorison (Szenario) und Thimothée Montaigne (Zeichnung) kürzlich auf Deutsch erschienen. Wir wagen einen Blick in den maritimen Psychothriller und prüfen, mit welchen Potenzialen an Bord das Werk in den sicheren Hafen des Comic-Olymps einfährt.

Psychologischer Thriller über Macht und Gruppendynamiken im Jahr 1629

1629, oder die erschreckende Geschichte der Schiffbrüchigen der Jakarta 1 beruht auf wahren Begebenheiten. Die Geschichte, die Xavier Dorison und Thimothée Montaigne erzählen, hat ihren Ursprung in Amsterdam und in dem Streben der Ostindien-Kompanie (VOC) nach unvorstellbaren Ruhm und Macht. Um ihren Wirkungskreis zu vergrößern, wollen die Geschäftsleute der VOC den Herrscher von Sumatra mit einer unvorstellbaren Ladung voll Gold bestechen. Die wertvolle Fracht sollte mit dem Schiff Jakarta den gefährlichen Weg nach Indonesien bestreiten.

Ein mit Gold beladenes Schiff, ein gewaltvoller Kapitän, eine unterdrückte Mannschaft und existenzielle Armut unter Deck, treffen auf eine besser gestellte Gesellschaft, die ihren eigenen Teil des Schiffes, mit gutem Essen und in hygienischeren Zuständen bespielt. Der Oberkaufmann, der von der VOC beauftragt wurde, das Gelingen des Unterfangens zu garantieren, herrscht mit harter Hand und harten Gesetzen an Bord und hat selbst den Kapitän in seinen Fängen. Die denkbar ungünstige Sozialstruktur der Jakarta stellt sich schon bald als Pulverfass dar, das bei dem kleinsten Funken in die Luft zu fliegen droht…

Philosophische Fragen über das Führen und geführt werden

Bereits in der Einleitung schilder Xavier Dorison die Tiefe des Stoffes. Die Tragödie der Jakarta, die auf wahren Begebenheiten beruht, soll demnach als Aufhänger für weitaus größere Fragen dienen. Es geht um das Führen und geführt werden und um Macht und Machtmissbrauch. Dorisons Credo: Was auf der Jakarta geschehen ist, kann jederzeit wieder geschehen. Kein Mensch kann sich der Tatsache verwehren, dass Menschen in bestimmten Situationen zu unvorstellbar schrecklichen Taten fähig sind. Laut Dorison schildert das die Geschichte der Jakarta in besonders eindrücklicher Weise. In den Dialogen der Protagonisten bedient sich Dorison immer wieder an philosophischen und psychologischen Konzepten.

Warum lassen sich Menschen so einfach unterwerfen und was ist der Preis der Freiheit? Dorison bezieht sich teilweise konkret auf philosophische Vordenker wie dem italienischen Humanisten Pico Della Mirandola, der alte religiöse Zwänge infrage stellte und die Selbstverwirklichung des Menschen als Schöpfer seiner selbst deklarierte. Dorison gibt der Lektüre dadurch eine besondere Tiefe und regt die Leser damit zum Nachdenken an. Vielleicht fühlt sich die ein oder andere Lehrkraft, die diese Rezension liest, sich dazu bemüßigt, mal eine Graphic-Novel jenseits des klassischen Kanons zu behandeln? Das Potenzial dafür bringt die Geschichte der Jakarta mit sich!

Durch und durch stimmiges Design

Auch die visuelle Ebene von 1629, oder die erschreckende Geschichte der Schiffbrüchigen der Jakarta 1 weiß zu überzeugen. Der Einstieg in die Lektüre beginnt mit einem Querschnitt der Jakarta, auf der die verschiedenen Räumlichkeiten eingezeichnet sind. Diese Vorgehensweise hilft dabei, den Spielort besser zu verstehen. Diese relativ technische Zeichnung hat dabei das Potenzial, die Leser sofort in die Geschichte zu ziehen. Ergänzt wird diese Darstellung auf der nachfolgenden Seite mit einer alten Weltkarte, auf der die Schiffsroute der Jakarta dargestellt wird. Das verleiht das Gefühl, schon in die Geschichte einzusteigen, bevor der eigentliche Plot losgeht. Das Worldbuilding betreiben Dorison und Montaigne nahezu perfekt.

Der Start der Geschichte in Amsterdam wird mit neuzeitlicher Architektur, die mit vielen Details dargestellt wird, eingeleitet. Die Zeichnungen stellen detailliert zeitgenössische Kleidung und Innenarchitektur dar. Der Leser wird förmlich in das 17. Jahrhundert gesogen. Auch die Darstellung des Schiffes kann auf voller Linie überzeugen. Punktabzug gibt es lediglich bei dem gewählten Font. Das Lesen der Schrift fällt teilweise etwas anstrengend aus und der Font scheint nicht so ganz zum Setting zu passen, ist er doch etwas zu modern und agil in seiner Gestaltung.

Sozialexperimente auf hoher See

1629, oder die erschreckende Geschichte der Schiffbrüchigen der Jakarta 1 ist definitiv eine spannende Lektüre. Die Thematik ist dabei nicht neu. Filme und andere popkulturelle Erzeugnisse haben immer wieder Sozialexperimente aufgegriffen. Was passiert, wenn eine Gruppe von Menschen widrigen Umständen ausgesetzt wird? Welche Gruppendynamiken können sich entwickeln? Fans von Filmen und Serien wie „Das Experiment“ oder „The 100“ könnten auch mit dieser Lektüre glücklich werden.

Die Tiefgründigkeit der Geschichte und die vielen philosophischen Anleihen sorgen allerdings für eine etwas anspruchsvollere Lektüre, die nicht für jeden sofort zugänglich sein dürfte. Dorison und Montaigne ist mit dem ersten Band von 1629 ein durch und durch stimmiger Auftakt gelungen. Dabei brillieren sie sowohl mit ihrem Storywriting, als auch mit dem Design und den Illustrationen. Zum Schluss darf auf keinen Fall die wunderschöne Umschlaggestaltung unerwähnt bleiben. Das Dunkelblau und das Gold gehen hier in der reliefartigen Gestaltung eine Liaison ein, die jedem gut sortierten Bücherregal schmeicheln dürfte. Ein absolutes Must-have!

© Splitter Verlag

1629, oder die erschreckende Geschichte der Schiffbrüchigen der Jakarta 1

ISBN: 978-3-98721-187-4

Erschienen am: 24.05.2023

Szenario Xavier Dorison

Zeichnung Thimothée Montaigne

Übersetzg. Harald Sachse

Einband Hardcover

Seitenzahl 136

Band 1 von 2

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