Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein (Rezension)

Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein Beitragsbild

Poetisch illustrierte Graphic-Novel über alternative Formen des Zusammenlebens

Emmanuel Lepage ist bekannt für seine ausdrucksstarken und poetischen Illustrationen. Mit Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein, auf Deutsch erschienen beim Splitter Verlag, wagt er sich nun an eine ganz persönliche Erzählung über sein Aufwachsen in einer Kommune im ländlichen Raum Frankreichs. Dabei stellt er sich auch die Frage, warum das Experiment dieser alternativen Form des Zusammenlebens für seine Familie am Ende scheiterte.

Vielschichtige biografische Einblicke

Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein folgt keiner stringenten Handlung. Vielmehr bedient sich Emmanuel Lepage fragmentarischen Erinnerungen der verschiedenen ehemaligen Mitglieder der Kommune. Die Biografien der einzelnen Personen scheinen Lepage besonders zu interessieren, treibt ihn doch die Frage umher, warum sich Menschen für andere Formen des Zusammenlebens entscheiden. Besonders intensiv betrachtet er dabei die Biografien seiner Eltern. Welche Ereignisse und Begegnungen in ihren Leben führte dazu, dass sie der Gesellschaft den Rücken kehrten, um im ländlichen Raum mit anderen Familien eine Kommune zu bilden? Lepage interessiert auch, warum das Experiment am Ende für viele scheiterte und versucht dieser Frage mit Interviews der ehemaligen Bewohner dieser Kommune auf die Spur zu kommen.

Ein Stück französische Sozialgeschichte

Emmanuel Lepages Werk bietet spannende Einblicke in die französische Sozialgeschichte. In den biografischen Erzählungen bekommen wir Einblicke in die unruhigen 68er Jahre und insbesondere in die Entwicklungen der katholischen Kirche zu dieser Zeit. Nahezu alle Bewohnenden der Kommune, in der Lepage mit seiner Familie aufwuchs, hatten Bezüge zur Kirche. Dabei waren Berührungspunkte mit kirchlichen Jugendorganisationen und progressiven Geistlichen wie z.B. Bernard Besret aus dem Kloster Boquen offensichtlich von besonderer Bedeutung für die Entscheidung, ein Leben jenseits gewöhnlicher gesellschaftlicher Konventionen zu führen.

Zerplatzte Utopien

Die idealistischen Vorstellungen von unkonventionellen Formen des Zusammenlebens werden in der Realität häufig allzu schnell ins Wanken gebracht. Lepage bezieht bei den Gründen für Konflikte in der Kommune, die Biografien und die daraus resultierenden recht unterschiedlichen Vorstellungen der einzelnen Mitglieder mit ein. Die einzelnen Konfliktlinien eröffnen sich vor allem an Themen wie Privatsphäre und Gemeinschaft. Die einen hätten gerne möglichst abgeschlossene und abgegrenzte Gärten und viel Privatsphäre, während andere die Politik der offenen Türen bevorzugen. Einzelne wollen essenzielle Aufgaben gemeinschaftlich erledigen, während andere nur bestimmte Teile ihres Lebens gemeinschaftlich organisieren wollen. Obwohl das Projekt am Ende scheitert, scheinen doch alle viel gelernt zu haben. Lepage macht immer wieder deutlich, was für eine Bereicherung es für ihn war, von vielen verschiedenen Erwachsen erzogen worden zu sein. So bekam er die unterschiedlichsten Stärken und Interessen der verschiedenen Erwachsenen mit, was für Heranwachsende vielerlei Identifikationsangebote bedeutet.

Fragmentarische Erinnerung

Lepages Erzählung ist in keinster Weise stringent. Es gibt keinen wirklichen roten Faden und es sind eher aneinandergereihte Erzählungen und Erinnerungen, die uns hier begegnen. Teilweise verliert sich Lepage auch in Abzweigungen, die nicht unbedingt von besonderer Relevanz für den Kern seines Werkes sind. Das macht die Lektüre streckenweise etwas zäh und verworren. Die biografischen Einblicke der ehemaligen Bewohner der Kommune sind teilweise so durcheinander, dass man nicht mehr nachvollziehen kann, wer jetzt eigentlich vor welchem Hintergrund erzählt. Trotzdem muss man Lepage zugutehalten, dass er hier versucht hat, das große Ganze zu erfassen. Welche gesellschaftlichen und biografischen Entwicklungen trieben die Mitglieder der Kommune an?

Künstlerisch beeindrucken

Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein ist auf künstlerischer Ebene besonders beeindruckend. Lepages Bildsprache ist durch und durch poetisch und zeichnet sich durch ein Gespür für Stimmungen aus. Dabei sind die illustrierten Kindheitserinnerungen besonders gelungen. Sie wirken teilweise verklärt und surreal und vermitteln den typischen Charakter nostalgischer Kindheitserinnerungen. Das Cover von Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein verdeutlicht diese Stimmung mit seinem impressionistischen Stil besonders eindrücklich.

Spannendes Werk mit kleinen Ecken und Kanten

Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein verdient eine klare Empfehlung, auch wenn das Werk mit seinem thematischen Schwerpunkt sicherlich kein breites Publikum ansprechen wird. Wer Interesse an alternativen Formen des Zusammenlebens hat und sich auch für sozialgeschichtliche Themen begeistern kann, wird mit Lepages Werk viel Freude haben. Dabei lohnt sich vor allem auch Lepages poetische und impressionistische Bildsprache. Auch, wenn sich ein roter Faden schmerzlich vermissen lässt und die Lektüre dadurch teilweise etwas verwirrend sein kann, wird die Grundaussage der Geschichte trotzdem klar: Idealistische Ideen müssen sich immer auch an der Realität messen. Ist einem diese Tatsache bewusst, ist die Fallhöhe für gescheiterte Utopien nicht mehr so hoch. Im besten Fall schreibt man wie Emmanuele Lepage einfach ein spannendes Werk darüber! Chapeau, Herr Lepage!

© Splitter Verlag

Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein

ISBN: 978-3-98721-164-5

Erschienen am: 25.10.2023

Szenario Emmanuel Lepage

Zeichnung Emmanuel Lepage

Übersetzg. Anne Bergen

Einband Hardcover

Seitenzahl 312

Band 1 von 1

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