Die Strasse (Rezension)
Intensive Vater- und Sohngeschichte vor dystopischer Kulisse
Mit Die Strasse adaptiert Manu Lacernet den berühmten Roman von Cormac McCarthy. McCarthys Roman schlug in der Vergangenheit schon popkulturelle Wellen. Es liegt z.B. auch eine filmische Adaption von John Hillcoat aus dem jahr 2009 vor. Kann Manu Lacernets der literarischen Vorlage mit seiner Graphic-Novel-Adaption neuen Wind einhauchen, oder wärmt er hier altes Material nur neu auf?
Düstere Ästhetik
Manu Larcenet bietet mit seiner ganz eigenen Ästhetik einen innovativen Zugang zu Cormac McCarthys Stoff an. Schattenspielartig, mit sehr reduzierter Farbpalette und kontrastreichen Illustrationen zeichnet Larcenet die abenteuerliche Reise eines Vaters mit seinem Sohn in einer postapokalyptischen Welt nach. Die Protagonisten erhoffen sich durch die Reise zum Meer bessere klimatische Bedingungen, müssen dabei aber unterwegs Kannibalen und plündernden Gangs entkommen. Durch Larcenets Illustrationen wird die beklemmende Atmosphäre hervorragend und mit wenig Worten lebendig. Die Strasse ist ein sehr stilles und bedächtiges Werk. Es gibt nur wenige Dialoge und viele Panels lässt Larcenet ohne weitere Worte für sich sprechen.
Details, die es in sich haben
Es sind die vielen Details, die zu einem immersiven und atmosphärischen Lesevergnügen führen. So baumeln im Hintergrund zum Beispiel leblose Körper an einem Kran, oder die Kannibalen sind mit menschlichen Überbleibseln geschmückt. All dies stimmt eindrucksvoll auf die Bedrohungslage ein, mit der Vater und Sohn durchweg konfrontiert zu sein scheinen. Doch es sind nicht nur die offensichtlichen Schrecknisse, die den Leser in die trostlose Welt hineinziehen; Larcenet spielt auch subtil mit den Symbolen und Metaphern der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Die Stille der Landschaften, die leeren Blicke der Figuren und die kalte, unbarmherzige Umgebung lassen die Ausweglosigkeit dieser Welt förmlich spüren.
Bedrückende Lektüre
Ihr könnt euch nach den bisherigen Ausführungen sicherlich denken, dass Manu Larcenets Werk keine Lektüre ist, um gute Laune zu generieren. Die düstere Bebilderung und die emotional ergreifende Geschichte über das Überleben von Vater und Sohn sind keine leichte Kost. Wer sich auf diese Gefühle einstellen möchte, wird hier aber ein immersives und höchst atmosphärisches Werk vorfinden, das trotz des stillen Erzählstils auch spannende Passagen aufzuweisen hat. Es macht große Freude, die Details in Larcenets detaillierter und klug gewählter Bebilderung zu betrachten. Der Überlebenskampf von Vater und Sohn wird so aus nächster Nähe vom Sofa aus erlebbar.
Obwohl die Schwere des Themas und die düstere Atmosphäre die Lektüre dominieren, bleibt ein Funken Hoffnung spürbar – eine Hoffnung, die in der Beziehung zwischen Vater und Sohn wurzelt. Die Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung macht Die Strasse zu einem zutiefst menschlichen Werk, das dazu anregt, über die Zerbrechlichkeit des Status Quo und die Bedeutung von Liebe und Fürsorge in einer feindlichen Welt nachzudenken.
Die Straße – Nach dem Roman von Cormac McCarthy
€25,00
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• Aus dem Französischen von Maria Berthold und Heike Drescher
• Lettering von Tim Gaedke / Font: Manu Larcenet
ISBN 978-3-95640-423-8
160 Seiten, farbig, 21,7 x 27 cm, Hardcover
1. Auflage: Juli 2024