Ulkige Storys aus der Belle Époque

Als Adele Blanc-Sec erschien, war ich noch nicht mal in Planung. Trotzdem interessieren mich auch die großen Comicklassiker aus dem frankobelgischen Raum und ich wollte nun endlich mit Adele Blanc-Sec ein schräges Stück Comicgeschichte nachholen. Der Schreiber & Leser Verlag bietet dazu eine hervorragende Möglichkeit, hat er doch einige Geschichten rund um die unfreiwillige Ermittlerin in Sammelbänden auf Deutsch herausgebracht. Wir schauen uns den ersten Sammelband an, der die Geschichten Adele und das Ungeheuer, Der Dämon vom Eiffelturm und Der Affenmensch erhält.

Klamauk und Selbstironie

Die erste Geschichte Adele und das Ungeheuer ließ mich zunächst ziemlich ratlos zurück. Tardi überrollte mich mit völlig überzeichneten und expressionistisch gestalteten Charakteren, vermischte Krimi-Elemente mit den Genres Fantasy, Abenteuer und Mystery und war sich nicht darum verlegen, jede erdenkliche Absurdität ohne Erklärung in seine Geschichte einzuflechten. Dabei gab es kaum Informationen über die Hintergründe der Protagonistin Adele Blanc-Sec. Merkwürdigerweise blieb die Unterhaltung trotzdem nicht aus, was nicht zuletzt an den wundervollen Darstellungen der Architektur und des Interieurs der Belle Époque lag.

Die Lektüre der weiteren Geschichten sorgte dann für etwas mehr Nachvollziehbarkeit der Charaktere und ihrer Motive. Dabei arbeitet Tardi stets mit einer gehörigen Portion Selbstironie und scheut sich nicht davor, Handlungsstränge in aberwitziger Manier miteinander zu verknüpfen. Sei es noch so absurd – es ergeben sich ganze Handlungsstränge, die sich durch die Geschichten ziehen und oft unvorhersehbare Wendungen mit sich führen. Teilweise erinnern dabei die Auflösungen der Kriminalelemente in Adele Blanc-Sec an den Ulk der alten Edgar Wallace Filme. Täter werden bedeutungsschwanger ihrer Maske entledigt und sie verkünden lautstark und selbstreferenziell ihre Motive.

Tardis Kunst

Die Selbstironie von Tardis Werk zeigt sich auch in seinem künstlerischen Ansatz. Zwar gibt es viele realistisch gezeichnete Elemente z.B. wie Gebäude oder Inneneinrichtung, allerdings gibt es auch Elemente, die eher im karikativen Stil hervortreten. Das gilt vor allem für die Charaktere. Sie besitzen zwar teilweise detailliert ausgearbeitete Gesichtszüge, allerdings sind die Proportionen völlig surreal. Dieses surreale Erscheinungsbild passt dabei meistens ganz vorzüglich zu den Charaktereigenschaften der Protagonisten. Dem Polizeichef Leo Caponi sieht man so z.B. sein Unvermögen am treudoofen Blick und den zu groß geratenen Ohren bereits zu Beginn an.

Wie gelungen Tardi den Stil der Belle Époque einfängt, wurde bereits in vielen Lobeshymnen besungen. Dem muss man sich unweigerlich anschließen, versprühen die Settings doch intensiv den Charme, den wir mit dem Ende des 19. Jahrhunderts verbinden. Dabei arbeitet Tardi auch mit starken Kontrasten, die sich in das Gedächtnis einbrennen. In Adele und das Ungeheuer stellt Tardi z.B. den Flugsaurier Pterodaktylus in einem starken Rotton dar. Das Bild dieses Ungeheuers, das sich extrem von einem Blau-Schwarzen Nachthimmel abhebt, hat absolutes Kultpotenzial. Die kontrastreichen Zeichnungen mit schweren und dicken schwarzen Linien könnten vielleicht auch Mike Mignolas Stil inspiriert haben, zumindest gibt es hier einige Parallelen.

Gelungene Neuauflage eines Klassikers

Adele Blanc-Sec Sammelband 1 vom Schreiber & Leser Verlag bietet einen wunderbaren Einstieg in die Welt der resoluten Ermittlerin. In einem ausgiebigen Vorwort liefert der Verlag noch interessante Informationen zum Entstehungskontext von Adele Blanc-Sec und eine Übersicht über die wichtigsten Charaktere der Geschichten. Letzteres ist besonders hilfreich, verliert man in den teilweise sehr verworrenen Plots schnell den Überblick. Wer die Ästhetik und Atmosphäre der Belle Époque mag und mit verrückten und absurden Handlungssträngen umgehen kann, wird in Adele Blanc-Sec ein Meisterwerk auf diesem Gebiet finden. Mit Adele Blanc-Sec Sammelband 1 fällt der Einstieg in diesen Klassiker so einfach und so elegant wie nie zuvor aus. Wenn nicht jetzt, wann dann?